Generalisierte Epilepsie
Die generalisierte Epilepsie ist verbunden mit generalisierten Anfällen, die nicht auf eine bestimmte Hirnregion oder auf eine Hirnhälfte (Großhirnhemisphäre) beschränkt sind. Vielmehr verläuft ein generalisierter epileptischer Anfall stets unter Beteiligung beider Großhirnhälften.
Sie werden in motorische Anfälle und nicht-motorische (Absence-)Anfälle unterteilt. Da generalisierte Anfälle überwiegend mit einer Bewusstseinsstörung einhergehen, wird dabei nicht zwischen bewusst und unbewusst erlebten Anfällen unterschieden.
Generalisierte motorisch tonisch-klonische Anfälle
Ein Beispiel für generalisierte motorische Anfälle ist die wohl „dramatischste“ Form epileptischer Anfälle, der generalisierte motorisch tonisch-klonische Anfall. Es ist nicht erstaunlich, dass diese Anfallsform früher „großes Übel“ (französisch: grand mal) genannt wurde. Der Anfall kann in folgende Phasen unterteilt werden:
In der ersten (tonischen) Phase kommt es zu einer starken Anspannung und Versteifung von Armen und Beinen. Der Kopf ist leicht nach vorn geneigt oder nach hinten überstreckt. Dadurch ist eine regelmäßige Atmung kurzzeitig nicht möglich, die Haut verfärbt sich bläulich, es wird vermehrt Speichel gebildet. In einem fließenden Übergang entwickelt sich die zweite (klonische) Phase des Anfalls. Anfänglich zucken Arme und Beine. Im Verlauf werden die Zuckungen langsamer, heftiger und ausladender. In dieser Phase setzt die Atmung, meist stoßartig, wieder ein. Manchmal geht Urin oder Stuhl ab. Der Anfall endet mit einem Übergang in eine Nachphase von Erschöpfung. Manchmal gleitet die betroffene Person in einen tiefen Schlaf über.
Absencen oder Absence-Anfälle
Absencen sind ein Beispiel für nicht-motorische Anfälle und gelten als die mildeste Ausprägung von generalisierten Anfällen. Es handelt sich um plötzlich auftretende Bewusstseinsunterbrechungen, die meist nur kurz anhalten (wenige Sekunden) und abrupt enden. Gewöhnlich haben Patient:innen während eines Absence-Anfalls einen starren Blick und halten in dem, was sie gerade tun, plötzlich inne. Die Betroffenen nehmen ihre Umgebung nicht wahr, wirken benommen oder verträumt. Absencen sind meist „Aussetzer“ ohne Verkrampfen oder Sturz. Führendes Zeichen ist eine fehlende Ansprechbarkeit der betroffenen Person sowie nachfolgende Erinnerungslücken. Bei sogenannten „komplexen“ typischen Absencen kann es unter anderem auch zu Bewegungen von Mund, Zunge, Augenlidern, Kopf oder Armen kommen.
Typischerweise verspüren Patient:innen vor dem Anfallsbeginn keine Aura, also keine Art von Vorwarnung. Nach dem kurzen Anfall erholt sich die betroffene Person schnell. Meist hat sie keine Erinnerung an den Anfall und fährt mit der zuletzt ausgeführten Tätigkeit fort, als wäre nichts geschehen.
Aufgrund der kurzen Dauer der Absencen werden diese manchmal nicht als Anfälle erkannt, sondern als Unaufmerksamkeit, Verträumtheit oder auch Unfähigkeit fehl gedeutet.
Die Anfallshäufigkeit kann bei Absencen stark variieren. Bei kindlichen Patient:innen können bis über 100 Anfälle täglich auftreten; bei Jugendlichen ist die Anfallshäufigkeit mit
0 bis 10 Anfällen pro Tag in der Regel deutlich geringer. Grundsätzlich sind Absencen im Erwachsenenalter, in der Jugend und in der Kindheit bekannt. Sie treten aber meist bei Kindern vor allem im schulpflichtigen Alter auf, wobei Mädchen häufiger betroffen sind als Jungen.
Generalisierte Epilepsien und Epilepsiesyndrome
Bis zu einem Alter von 5 Jahren sind sind neu auftretende Epilepsien überwiegend generalisierter Art. Mit zunehmendem Alter sind sie weniger häufig als fokale Epilepsien. Etwa 30 % der generalisierten Epilepsien ist genetisch bedingt – man spricht in diesem Fall auch von genetisch generalisierten Epilepsien (GGE). Die nachfolgende Tabelle führt einige Beispiele generalisierter Epilepsien und Epilepsiesyndrome auf.
Eine genauere Beschreibung der einzelnen Epilepsien und Syndrome zu Epilepsien im Kindes- und Jugendalter finden Sie im Kapitel Anfälle im Kindesalter und Syndrome im Kindesalter
Beispiele für generalisierte Epilepsien und generalisierte Epilepsiesyndrome
Epilepsie/ Epilepsiesyndrom | Alter bei Auftreten |
Benigne myoklonische Epilepsie des Säuglingsalters | Säuglings-/Kleinkindalter |
Kindliche Absence-Epilepsie (CAE, Pyknolepsie) | Kindheit |
Juvenile Absence-Epilepsie (JAE) | Kindheit/Jugend |
Juvenile myoklonische Epilepsie (JME, Janz-Syndrom) | Jugend |
Aufwach-Grand-mal-Epilepsie | Kindheit/Jugend |
West-Syndrom | Säuglings- / Kleinkindalter |
Epilepsie mit myoklonisch-atonischen Anfällen (Doose-Syndrom) | Säuglings-/Kleinkindalter/Kindheit |
Frühkindliche myoklonische Enzephalopathie (EME) | Säuglingsalter |
Frühinfantile epileptische Enzephalopathie mit „Burst Suppression“ (Ohtahara-Syndrom) | Säuglingsalter |
Aufwach-Grand-mal-Epilepsie
Eine Aufwach-Grand-Mal-Epilepsie ist eine genetische Epilepsie mit generalisierten tonisch-klonischen Anfällen. Alle bis zu zwei Stunden nach dem Erwachen auftretenden generalisierten tonisch-klonischen Anfälle zählen zu den Aufwach-Grand-Mal-Anfällen, auch wenn das Aufwachen mitten in der Nacht geschieht. Die meisten Betroffenen haben nur selten Anfälle, meistens sogar nur einen Anfall pro Jahr. Die Erkrankung beginnt häufig im Alter zwischen
15 und 17 Jahren. Männer sind häufiger betroffen als Frauen.
DE-N-DA-EPI-2100017 Aktualisierung: Juni 2022